IPL-Magazin 03 | April 2008 | Autor: Martin Back von der Unternehmensgruppe Freudenberg
Die Freudenberg-Gruppe gehört mit einem Umsatz von über fünf Milliarden Euro zu den 15 größten deutschen Familienunternehmen. Die Unternehmensgruppe mit dem Stammsitz in Weinheim beschäftigt über 33.000 Mitarbeiter in 53 Ländern und stellt Dichtungen, schwingungstechnische Komponenten, Filter, Schmierstoffe, Trennmittel sowie Vliesstoffe her. Zu den Kunden zählen neben der Automobil-, Energie- und Chemieindustrie auch der Maschinen- und Anlagenbau sowie der Konsumerbereich. Die Unternehmensgruppe ist in vier Geschäftsfelder „Dichtungs- und Schwingungstechnik“, „Vliesstoffe“, „Haushaltsprodukte“ und „Spezialitäten und Sonstige“ gegliedert.
Seit 1992 entwickelt und produziert Freudenberg am Standort Velten in Brandenburg schwingungstechnische Bauteile aus Gummi und Metall für die allgemeine Industrie. Der rechtlich und unternehmerisch eigenständige Bereich – erzielt mit etwa 200 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 35 Mio €.
Aufgaben und Herausforderungen in der Beschaffung
Die besondere Herausforderung für das Leadcenter in Velten in der Beschaffung liegt darin, dass es aufgrund seiner Größe einerseits nur in begrenztem Maße über eine herausragende Verhandlungsmacht im Beschaffungsmarkt verfügt.
Andererseits ist aber eine komplexe Beschaffungsstruktur abzudecken: Es müssen ca. 8000 unterschiedliche Halbfertigteile aus Metall in sehr unterschiedlichen Losgrößen mit zum Teil hohen technischen Anforderungen in kurzen Fristen beschafft werden.
In diesem Umfeld ist angestrebt, die Versorgung mit Metallkomponenten hinsichtlich Anlieferqualität, Liefertreue, Gesamtbeschaffungskosten und Risikosteuerung zu verbessern. Zum Erreichen dieser Ziele wurde in einem Projekt die Einführung eines strategischen Beschaffungskonzepts realisiert.
Vorgehensweise zur Ausprägung eines integrierten Beschaffungskonzeptes
Zunächst wurden im Einklang mit der Unternehmensstrategie die für die Beschaffung relevanten Entscheidungsprinzipien definiert. Sie richten sich nach den Kriterien Qualität, Liefertreue, Gesamtbeschaffungskosten und Risiko Management. Die Analyse der eingesetzten strategischen und operativen Arbeitsmittel und Prozesse zeigte die Notwendigkeit auf, diese auszubauen und deutlich besser miteinander zu verzahnen.
Hierzu wurden zwei Teilprojekte definiert:
1. Ausprägung eines integrierten Beschaffungsportfolio-Managements
2. Ausprägung eines integrierten Beschaffungsklassenkonzeptes
Ausprägung eines integrierten Beschaffungsportfolio-Managements
Für das Werk ist es auf Grund der hohen Anzahl an Lieferanten zwingend erforderlich, eine Methode zu verwenden, mit der differenzierte Beziehungen entwickelt werden können. Nach umfangreicher Analyse der theoretischen Modelle für Strategieentwicklung im Rahmen einer Diplomarbeit wurde als beste Lösung die kombinierte Portfoliotechnik identifiziert.
Im Beschaffungsgüter-Beschaffungsquellen-Portfolio nach WILDEMANN werden sowohl alle Produkte, als auch alle Lieferanten bei der Entwicklung von Strategien berücksichtigt.
Dem liegt die Annahme zugrunde, dass, neben der Angebotsmacht des Lieferanten, vor allen Dingen die Leistungsfähigkeit des Lieferanten entscheidend für die Gestaltung der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung ist.
Es wird deutlich, dass nicht mehr der Beschaffungspreis ausschlaggebendes Kriterium für den Unternehmenserfolg ist, vielmehr ist die Nutzung der Stärken eines jeden Partners in der Wertschöpfungskette zum Erfolgskriterium geworden.
Mit dem Portfoliomodell nach WILDEMANN können Beschaffungsstrategien für sämtliche Metallkomponenten gebildet werden. Darüber hinaus ist durch die Zuordnung der Lieferanten zu den einzelnen Warengruppen eine Entwicklung von spezifischen Warengruppen-Lieferanten-Strategien möglich. Strategien können so individuell für jede typologisierte Lieferantenbeziehung entwickelt werden.
Das Beschaffungsgüter-Portfolio
Im Beschaffungsgüter-Portfolio werden die einzelnen Materialien klassifiziert nach ihrem Wertanteil am Gesamtbeschaffungsvolumen (ABC-Analyse) sowie nach ihrem Warengruppenspezifischen Versorgungsrisiko. Das wiederum wurde bewertet aus den Kriterien Technischer Kommunikationsaufwand, Lieferzeit, Werkzeugwiederbeschaffungszeit und Komplexität des Beschaffungsgutes.
Die Bewertung der Kriterien erfolgte in einem Workshop in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Einkaufs. Subjektive Bewertungen wurden mittels Bewertungsskalen objektiviert.
Das Beschaffungsquellen-Portfolio
Im Beschaffungsquellen-Portfolio wird der Lieferant klassifiziert nach seinem Lieferantenentwicklungspotenzial auf Grundlage einer subjektiven Einschätzung des Produktions-, das Entwicklungs- und das Logistik-Know-how sowie nach seinem Lieferantenspezifischen Versorgungsrisiko.
Dieses wird ermittelt anhand der generell für einen Lieferanten gültigen Kriterien Entfernung zum Lieferanten sowie Abnehmeranteil am Lieferantenumsatz. Da sich das Versorgungsrisiko bei einem Lieferanten aber je nach Warengruppe sehr unterschiedlich ausprägen kann, werden ebenso warengruppenspezifische Betrachtungen in die Bewertung mit einbezogen, nämlich Anzahl der Anbieter und Aufwand des Lieferantenwechsels.
In der Kombination dieser beiden Portfolios kann dann aus der Positionierung einer Warengruppen-Lieferanten-Beziehung auf die richtige Normstrategie geschlossen werden. (s. Abb. 1).
Im Fokus der Strategie partnerschaftliche Zusammenarbeit steht die intensive Prozessoptimierung über alle Geschäftvorgänge hinweg. Gemeinsam mit den strategischen und Kern-Lieferanten sollen durch eine Reduzierung der nicht wertschöpfenden Prozesse Wettbewerbsvorteile der SC entstehen. In der Strategie „Verfügbarkeit sichern“ wurden Handlungsalternativen verdichtet, mit denen die zuverlässige Versorgung des Unternehmens auch in Zukunft gewährleistet ist.
Vorwiegend durch langfristige Verträge und persönliche Beziehungen sollen die Engpasslieferanten an das Unternehmen gebunden werden. Die Reduzierung der Lieferantenanzahl und die Bündelung der Bedarfe sind die Hauptbestandteile der Strategie „effizient Beschaffen“.
Durch diese Maßnahmen sollen automatisierte Beschaffungsvorgänge geschaffen werden, die zur Steigerung der Marge des Unternehmens beitragen.

Abb. 1 Beschaffungsgüter-Beschaffungsquellen-Portfolio nach WILDEMANN
Zur technischen Umsetzung des Beschaffungsportfolios wurde eine Access-Datenbank programmiert, um die Mitarbeiter bei der Bewertung zu unterstützen und die einzelnen Warengruppen-Lieferanten-Beziehungen grafisch im Sourcing Strategy Portfolio anzuzeigen.
Dieser Bewertungsprozess wird mindestens jährlich durchgeführt. Warengruppen-Lieferanten-Beziehungen, die nicht innerhalb des für diese Normstrategie vorgesehenen Ortes im Diagramm angezeigt werden, weisen auf Risiken oder Chancen hin, die zu steuern sind. Dies bildet die Grundlage für die strategischen Entwicklungspläne für die einzelnen Warengruppen-Lieferanten-Beziehungen. Die Mitarbeiter werden darin durch Checklisten für jede Normstrategie unterstützt.
Als Ergebnis wird das Beschaffungsportfolio kontinuierlich, systematisch und gezielt optimiert.
Ausprägung eines integrierten Beschaffungsklassenkonzeptes
Hand in Hand mit der Entwicklung des Beschaffungsportfolios geht auch die Optimierung der operativen Beschaffungsabwicklung einher.
In dem Zieledreieck, Niedriger Beschaffungsaufwand - niedriges gebundenes Kapital - hohe Versorgungssicherheit, sind die unterschiedlichen Beschaffungsklassen zu definieren und spezifisch auszuprägen.
Als Grundlage für die Entwicklung von Beschaffungsprozessen wurde eine ABC- und eine XYZ-Analyse durchgeführt.
Diese Analyse klassifiziert die Beschaffungsgüter nach dem Verbrauchswert (ABC-Analyse) sowie der Kontinuität des Verbrauchsverhaltens (XYZ-Analyse).
Mit der Festlegung auf vier Beschaffungsklassen gelingt es, die jeweils für eine Klasse beste Kombination von Beschaffungsprozessausprägungen zu gestalten und diese hinsichtlich der o.g. Ziele optimal zu beschaffen, gleichzeitig aber auch mit sehr wenigen Varianten die Komplexität im Griff zu halten. Darüber hinaus ist es möglich, diese dann auch optimal auszuprägen und durch IT zu unterstützen.
Im Leadcenter Schwingungstechnik Industrie wurden folgende Beschaffungsklassen definiert:
Die fallweise Beschaffung (MRP)
Sie eignet sich insbesondere für Materialien, die durch einen unregelmäßigen Verbrauch und einen hohen Verbrauchswert gekennzeichnet sind. Dies sind insbesondere die AZ-, AZ2-; BZ- und BZ2-Artikel.
Das C-Teile-Management
Das C-Teile-Management ist eine Form der Vorratsbeschaffung. Der Kostenvorteil dieser Methode besteht in vereinfachten Beschaffungsprozessen. Der Aufwand für einzelne Bestellungen wird durch die Nutzung von Web-Katalogen und vereinfachten Abläufen in Bestellung, Wareneingang und Zahlungsverkehr reduziert.
Just in Time
Im produktionssynchronen Beschaffungsprozess wird auf die Lagerung der Materialien verzichtet und darüber hinaus auf alle nicht-wertschöpfenden Prozesse, z.B. Kommissionier-, Einlagerungs- und Auslagerungsvorgänge, Transport zwischen Lager und Produktion, Qualitätskontrolle im Wareneingang, Rechnungsbearbeitung.
Durch kurzfristige Anlieferung an den Ort des Bedarfs werden Kapitalbindungskosten ebenfalls optimiert.
Der relativ aufwändige Abstimmprozess in der Disposition begründet, dass die Beschaffungsklasse JIT nur für hochwertige Materialien mit gleichmäßigem Verbrauch (AX-Materialien) angewandt wird.
Vendor Managed Inventory
Diese Beschaffungsklasse ist geeignet für mittel- und höherwertige Materialien mit einem relativ gleichmäßigen Bedarfsverlauf. Auf ein Lager kann hierbei nicht verzichtet werden. Die Optimierung des Beschaffungsaufwandes wird erreicht durch den Transfer der
Dispositionsverantwortung an den Lieferanten.
Schlussbetrachtung
Die optimale Beschaffungsklasse kann nur dann angewandt werden, wenn auch der Lieferant dazu über die notwendigen Kompetenzen verfügt. Umgekehrt kann auch nur durch Anwendung der richtigen Beschaffungsklasse das Beschaffungsportfolio kontinuierlich, systematisch und gezielt optimiert werden.
Nur in einem Zusammenspiel der strategischen Entwicklung der Lieferantenbeziehung mit dem Einsatz der richtigen Beschaffungsklasse kann das Wertsteigerungspotenzial hinsichtlich Anlieferqualität, Liefertreue, Gesamtbeschaffungskosten und Risikosteuerung der Funktion „Einkauf“ im Unternehmen genutzt werden.
Die Einkaufs- und Beschaffungsfunktion spielt eine entscheidende Rolle für den Erfolg des Unternehmens.
Kontakt zum Autor:
Martin Back
Kaufmännische Leitung
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Freudenberg Schwingungstechnik
Industrie GmbH & Co. KG, Velten
Berliner Straße 17,
16 727 Velten