IPL-Magazin 30 | Januar 2015 |
Moritz Hämmerle und Dr.-Ing. Stefan Gerlach
Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
Industrie 4.0 bringt Smartphones und Social Media in die Produktion
Durch die Einführung Cyber-Physischer Produktionssysteme (CPPS) werden Produktionstechnik, -prozesse und die Produktionsarbeit tiefgreifend verändert. Die erkennbare vierte industrielle Revolution wirft damit neue Forschungsfragen auf: Welche Rolle nehmen die Produktionsmitarbeiter zukünftig ein und welche Arbeitsformen werden durch eine Industrie 4.0. möglich? Der Einsatz von CPPS wird eine neue Qualität hochflexiblen Arbeitens ermöglichen, die sich in den Dimensionen zeitlich, inhaltlich und räumlich verteilter Arbeitseinsätze äußert.

Hohe Personalflexibilität ermöglicht schnelle Reaktion in der Produktion
Um Produkte kundenindividuell produzieren zu können, müssen Unternehmen ständig dynamischer, wandlungsfähiger und kundenorientierter werden. Dies verlangt hohe Flexibilität – sowohl der technischen Einrichtungen als auch des eingesetzten Personals.
Für eine schlanke Produktion am Puls des Kunden muss der flexible Personaleinsatz möglichst echtzeitnah gesteuert werden. In der Praxis erfolgt dies heute jedoch meist noch manuell: Teamleiter und Schichtführer koordinieren die An- und Abwesenheitszeiten der Mitarbeiter. Hierfür kommunizieren sie täglich mit ihren Arbeitskräften, den Personalbetreuern, weiteren Teamleitern, Zeitarbeitsfirmen – in der Regel mündlich, selten und bei genügender Vorlaufzeit per E-Mail.
Schicht Doodle als Abstimmungsplattform für flexible Arbeitseinsätze
Im Industrie 4.0-Forschungsprojekt KapaflexCy entwickelt das Fraunhofer IAO mit seinen Projektpartnern eine selbstorganisierte Kapazitätssteuerung, mit der Unternehmen ihre Produktionskapazitäten unter direkter Beteiligung der ausführenden Mitarbeiter hochflexibel, kurzfristig und unternehmensübergreifend steuern können. Die heute üblichen vertikalen Anweisungskaskaden »von oben nach unten« werden ersetzt durch horizontale Entscheidungen in und zwischen Arbeitsgruppen.
Möglich machen dies der konsequente Einsatz von Mobilgeräten sowie die Durchdringung der Produktion mit Cyber-Physikalischen Systemen (CPS). Sie liefern in Echtzeit Informationen über das Produktionsumfeld, lernen typische Anforderungssituationen sowie die dazu passenden Kapazitätsprofile und kombinieren diese mit Kommunikationsfunktionen für die Mitarbeiter. Im Forschungsprojekt werden dazu die Flexibilitätsbedarfe, das Kommunikationsverhalten und die Kapazitätssteuerungsprozesse für die Produktion analysiert. Darauf aufbauend wird mit dem „Schicht-Doodle“ ein Industrie 4.0-Werkzeug entwickelt, das Mitarbeitern eine Plattform zur Kapazitätsabstimmung bietet. Mit diesem Werkzeug können die Mitarbeiter ihre Arbeitseinsätze selbstverantwortlich dem benötigten Bedarf anpassen.
Teamleiter und Schichtführer planen mit dem Schicht-Doodle flexible Arbeitseinsätze. Ist durch die gute Auftragslage beispielsweise eine Zusatzschicht erforderlich, unterstützt der Schicht-Doodle die Planer beim Finden der passenden Mitarbeiter für die Zusatzschicht. Dabei berücksichtigt das Tool neben rechtlichen Rahmenbedingungen, wie Arbeitszeitbegrenzungen und Ruhezeiten auch die Qualifikation der Mitarbeiter. Darüber hinaus sind personalpolitische Strategien, wie der Aufbau von Arbeitszeitkonten zur Volatilitätsvorsorge in dem Werkzeug ebenso im Schicht-Doodle hinterlegt, wie mitarbeiterseitige Wünsche zu Zeiten an denen sie besonders gerne oder nicht flexibel reagieren können.
Ein intelligentes Regelwerk sichert die Entscheidungen zum Aufruf flexibler Arbeitseinsätze für die Planer ab. Sind die passenden Mitarbeiter identifiziert, werden sie vom Schicht-Doodle via Smartphone oder Terminal, direkt in der Produktion, über die Anfrage informiert. Mit Social-Media-Komponenten, wie Gruppenchats stimmen sie sich dann gegenseitig über die Teilnahme an der Zusatzschicht ab und gestalten so aktiv ihre flexiblen Arbeitseinsätze mit.
Mehrwert: produktiver Personaleinsatz und motivierte Mitarbeiter
Durch die neue selbstorganisierte Kapazitätssteuerung können Unternehmen bei schwankender Auftragslage und volatilen Märkten schneller reagieren, unproduktive Zeiten vermeiden und den Aufwand für die Kapazitätssteuerung reduzieren. Die Mitarbeiter erleben eine transparente Personaleinsatzplanung und stimmen ihre Einsatzzeiten untereinander ab.
Der Ausgleich zwischen Arbeit, Familie und Freizeit gelingt ihnen besser und steigert so ihre Motivation. Das Projekt wird neue Formen der Kapazitätsflexibilität durch den Einsatz von Echtzeit-CPS-Daten, Mobilgeräten und Web 2.0-Technologien anwendungsnah aufzeigen. Dadurch wird die Grundlage für neue Produkte und Dienstleistungen im Wachstumsmarkt kurzfristig flexibler Personaleinsatzplanung geschaffen.
Schicht Doodle gewinnt Sonderpreis Industrie 4.0
Der entwickelte Schicht-Doodle wird bereits heute im praktischen Betrieb erprobt. Der Anwendungspartner BorgWarner konnte mit dem Schicht-Doodle bisher bereits über 100 flexible Arbeitseinsätze organisieren. Das weckt Interesse. Und so gewinnt die "SchichtDoodle-Anwendung" Ende 2014 den Industrie 4.0-Sonderpreis für innovative Arbeitsorganisation.
Der "Industrie 4.0 Award" wird vom SV-Verlag zusammen mit der Beratungsgesellschaft ROI vergeben. Die Auszeichnung zählt derzeit zu den prominentesten kommerziellen Aktivitäten zum Thema Industrie 4.0.
Danksagung
Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt "KapaflexCy" wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmenkonzept "Forschung für die Produktion von morgen" gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Über die Autoren
Moritz Hämmerle forscht seit 2008 am Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO an innovativen Themen rund um die Produktion. Sein Schwerpunkt liegt dabei auf der strategischen Gestaltung von Personalflexibilität in der Produktion zur erfolgreichen Bewältigung volatiler Märkte. In den letzten Jahren untersucht er die Auswirkungen der bevorstehenden vierten industriellen Revolution auf die Produktionslandschaft in Deutschland. Als Co-Autor der Fraunhofer-Studie "Produktionsarbeit der Zukunft - Industrie 4.0" zeigt er auf warum Flexibilität zukünftig für die Produktion einen immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor darstellt.
Kontakt:
Telefon +49 711 970-2284
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www.kapaflexcy.de
Stefan Gerlach, geb. 1959, studierte Informatik an der Universität Stuttgart und promovierte dort am Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT). Seit 1990 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Schwerpunkte seiner Tätigkeit bilden Verfahren zur Planung und Steuerung von Produktion und Logistik sowie der bedarfsgerechte Einsatz von IT und mobilen Endgeräten in einer schlanken und flexiblen Produktion. Diese Themen gestaltet er auch im neuen For-schungsgebiet "Industrie 4.0". Aktuell leitet er das Industrie 4.0 Leitprojekt "KapaflexCy" mit dem Ziel der Gestaltung und selbstorganisierten Steuerung eines flexiblen Personaleinsatzes. Weiterhin untersucht er die Auswirkungen einer Industrie 4.0 auf die Produktionsarbeit der Zukunft.
Kontakt:
Telefon +49 711 970-2076
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www.kapaflexcy.de